Klara Blum. Der Hirte und die Weberin

Die Andere Bibliothek, Band 463
48€
309 Seiten
Klara Blum – ein weiterer, klangvoller Name in der Liste der Vergessenen und Wiederentdeckten. Ihr Roman - ein wahrhaft ungewöhnlicher Text; wie könnte es auch anders sein, möchte man denken, entspringt er doch der Feder einer der Bukowina entstammenden Autorin. Die Bukowina, ein historischer Landstrich, buchenbewaldet und sprachengemischt, die einen gewissen Paul Ancel sowie Rose Ausländer, Selma Meerbaum und andere Stimmen hervorbrachte.
Titelgebend für den in der DDR zunächst verbotenen, dann still und leise veröffentlichten und später vergessenen Roman, ist die chinesische Volkssage einer verbotenen Liebe zwischen einem Hirten und einer Weberin, die durch einen Fluss getrennt werden. Das Geschehen katapultiert den europäischen Leser in die geheimnisvolle Welt Chinas, wo um 1937 herum die autobiographisch gefärbte Liebes- und Leidensgeschichte ihren Anfang nimmt. Nju-Lang, Sprössling einer Seidendynastie, ebenso unglücklich wie pflichtgemäß verheiratet und Vater geworden, ist ein leidenschaftlicher Theaterliebhaber, und seine improvisierten Inszenierungen westlicher, vermeintlich subversiver Stücke drängen ihn schließlich in die Flucht. In Moskau begegnet er der jüdischen Österreicherin (aus der Bukowina), Dichterin und Kommunistin Hanna Bilkes. Sie verlieben sich, und obwohl ihnen nur drei gemeinsame Monate beschieden sind, sind diese dennoch lebensprägend. Denn als Nju-Lang eines Tages ohne eine Nachricht verschwindet, hält Hanna bis zuletzt, viele Jahre lang, zu ihm, in der Überzeugung, dass ihr Geliebter auf eine geheime Mission geschickt worden wäre. Sie setzt alles daran, ihn wiederzutreffen, aber der Krieg, die Umstände erlauben ihr zunächst nicht, die Sowjetunion zu verlassen, sodass ihr erst Jahre später unter größten Entbehrungen über Prag und Paris die Reise nach China gelingt, wo sie hofft, ihren Geliebten zu finden.
Einiges spricht dafür, dass das Abenteuerliche dem außergewöhnlichen Leben der Klara Blum selbst abgeschrieben ist. Aber sie macht es Lesern nicht leicht, zu ihr vorzudringen, Anteil an ihrer Lebensfiktion zu nehmen: Im Stakkato, das an das Frühwerk Gabriele Tergits erinnert, preschen die Dialoge voran, Namen werden fallengelassen, unseren Ohren so fremd, dass sie dem Gedächtnis schon entfallen sind, noch bevor klar wird, ob man sie sich merken muss. Aber eben in jener Flüchtigkeit offenbart sich Blums tiefe Kenntnis der chinesischen Kultur und komplizierten politischen Ereignisse. Und die Schilderung der kolonialistisch-rassistischen Verhältnisse in Shanghai, der hierarchisch geprägten Beziehungen zwischen Chinesen und Weißen (Achtung: in der Sprache ihrer Zeit!) ist dermaßen scharfsichtig, dass der Autorin Vieles verziehen werden kann. Das Nachwort von Julia Franck ist, wie so oft bei Nachworten, unbedingt als hilfreiche Vorlektüre zu empfehlen. Und versteht man den Band als starken Einstand der neuen Herausgeber dieser wundervollen Reihe, Julia Franck und Rainer Wieland, dürfen wir hoffen, dass die Andere Bibliothek bleibt, was sie immer war: die besondere Reihe für den besonderen Leser. nc