GIULIA CAMINITO. DAS WASSER DES SEES IST NIEMALS SÜSS

Aus dem Italienischen von Barbara Keiner
Wagenbach Verlag
Schon Caminitos erster ins Deutsche übersetzte Roman »Ein Tag wird kommen« war ein echtes Leseerlebnis. »Das Wasser des Sees ist niemals süß« steht dem in nichts nach. Es ist nicht das Dolce-vita-Italien, sondern das herbe Italien der Sozialwohnungen, der Spritzen im Hof, der unversicherten Schwarzarbeiterunfälle, der zerfallenden Schulen, der stickigen, überfüllten Pendlerzüge, der mühsamen Stufen zwischen alten Gemäuern, das Italien der jungen Menschen ohne Perspektive. Es ist das Leben der jungen Protagonistin Gaia, der die Mutter eintrichtert, dass nur Bildung aus der Misere heraushelfe. Und so liest sich Gaia durch die Weltliteratur und schafft es zuletzt sogar bis zur Philosophie-Doktorandin, um dann doch als Putzfrau zu enden. So hart die Mutter, so verhärtet die Tochter – und dabei doch immer auf der Suche nach Freundschaft, vielleicht sogar Liebe, die stets in sich fremd anfühlenden, aneinanderreiben Körpern und Verrat endet. Die aufgestaute Wut und Machtlosigkeit gegen das System entlädt sich in hemmungslosen Gewaltausbrüchen Gaias, die weder vor Faustschlägen noch vor Benzinkanistern zurückschreckt. Die Hiebe treiben dann auch Caminitos Sprache temporeich voran, und die gelungene Übersetzung reißt ihre Leser mit. Selten erhellen Sonnenstrahlen den dunklen Grund des Sees, nur manchmal blinkt etwas auf, vielleicht eine versunkene Weihnachtskrippe. Auch in Gaias Leben blinkt manchmal etwas auf, das anmutet wie Zugehörigkeit und Freude - bis sich die nächste Wolke wieder davorschiebt.
Ein kraftvoller Roman über das Erwachsenwerden in prekären Verhältnissen. Wer die italienische Literatur mit Elena Ferrante und Francesca Melandri für sich entdeckt hat, darf und sollte unbedingt hier weiterlesen. Norma Cassau
315 Seiten
€ 26,-