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Iwan Schmeljow. Der Mensch aus dem Restaurant

Aus dem Russischen von Georg Schwarz, mit Anmerkungen und einem Nachwort von Wolfgang Schriek, Die Andere Bibliothek

Skorochodow, der Schnellfüßige, trägt seinen Namen zu Recht, schließlich bedient er unauffällig und flink seit über zwanzig Jahren als Kellner in einem feinen Restaurant feine Gäste. Allzu fein sind die dann allerdings doch nicht, denn sie drücken gerne ihre Zigaretten an den unpassendsten Stellen aus, beschmutzen die Séparées, erbrechen den Stör à la provençale auf dem Korridor, lassen sich junge Mädchen kommen und stecken sich übriggebliebenes Obst und Nachtisch in die Taschen, bis die Hose feuchte Flecken hat. Die Prasserei der Herrschaften steht im krassen Gegensatz zum Leben Skorochodows, den ein Schicksalsschlag nach dem anderen ereilt: Sein Sohn gerät unter den Einfluss der Sozialrevolutionäre und wird verhaftet und verbannt, seine Tochter strebt nach sozialem Aufstieg und ist bereit, dafür ihren »guten Ruf« zu opfern, der Untermieter erhängt sich in der Wohnung, die Polizei macht Scherereien – und das ist noch längst nicht alles. Bei alledem wirkt Skorochodow lange verhältnismäßig ruhig, er ist tief mit den Hierarchien des zaristischen Russlands und dem orthodoxen Glauben verbunden und vertraut darauf, dass Gott es richten wird – ganz anders als seine Kinder, die überzeugt sind, alles selbst richten zu müssen. Ein Generationenkonflikt, wie man ihn aus Turgenews Väter und Söhne kennt. Neben den großartigen, grotesken Restaurantszenen ist vor allem die Sprache bemerkenswert. Aus der Bandbreite von religiös-philosophisch bis grob-mündlich entsteht eine Mischung, die anfangs kurios anmutet, aus der sich aber in der Übertragung des DDR-Übersetzers Georg Schwarz von 1968 eine bemerkenswerte Dynamik mit ganz eigenem Charme entwickelt. Ebenfalls sehr empfehlenswert sind die umfangreichen Anmerkungen sowie das gründliche Nachwort über das bewegte Leben des Autors und die Entstehung des Romans, der schon 1911 in Russland erschien und, wie viele Werke, erst mit der Perestrojka wiederentdeckt wurde. Über all diese Jahre und politischen Wandel dürfte sich doch eines nicht verändert haben: »Das ganze Leben – ein einziges Restaurant«! Norma Cassau

310 Seiten
€ 44,-