Romane
BARBARA HONIGMANN. GEORG
Wir können der Geschichte nicht entfliehen, erst recht nicht der eigenen. Barbara Honigmann hat es in all ihren schmalen, aber sehr intensiven Büchern verstanden, sich ihrer selbst über das Ergründen der Eltern zu vergewissern. Das jetzt erschienene Buch über ihren Vater Georg ist eine nachgetragene Liebeserklärung, die begreiflich macht, wie sehr wir mit der Geschichte unserer Eltern verklammert sind, wie nah wir ihnen kommen können, wenn wir auch ein Stück weit zulassen, sie niemals ganz ergründen zu können. Georg Honigmanns Biografie ist für einen Teil der Deutschen des 20. Jahrhunderts geradezu exemplarisch: assimilierter Jude, Freidenker, Verfolgter des Naziregimes, Emigrant, Kommunist, Rückkehrer, nirgendwo richtig zu Hause, für die DDR, in die er aus Überzeugung zog, zu elegant, zu weltläufig, zu frei- und feingeistig, zu wenig tatkräftig. Gleichwohl ordnete er sich der Partei unter und litt und war auch privat oft sehr unglücklich. Viermal verheiratet, die Frauen blieben immer dreißig, zog er mal hier mal dort hin und kam nie wirklich irgendwo an, am wenigsten bei sich selbst und seinem tief im Innern schlummernden Judentum. Was für ein wunderbares, literarisch dichtes und wahrhaftiges Buch einer Tochter über ihren Vater. Und ganz nebenbei ein Buch, das deutsche und DDR-Geschichte erzählt, zum besseren Verständnis dieser so unendlich komplexen Materie. Silke Grundmann
SAŠA STANIŠIĆ. HERKUNFT
Luchterhand Verlag
Dieses Buch ist das schönste, bedeutendste, poetischste und bleibendste, was ich in diesem Frühjahr gelesen habe. Saša Stanišić, bezeichnet als der „Libero“ (Ijoma Mangold) der Deutschen Gegenwartsliteratur, schreibt über Herkunft (Jugoslawien), Vertreibung (Krieg), Heimat (Ist Sie eine Zeit oder ein Ort?), Ankommen (Heidelberg), Ausgrenzung (zu viele Häkchen im Namen), Aneignung (das erste Plusquamperfekt und die Sprache Hölderlins), Erinnerung (die eigene und die der Großmutter). Und das in einem so ausgewogen emotionalen wie reflektierten Stil, jegliches zarte Kitschaufkommen umschiffend und frei und lebendig erzählend, daß man sich nur freut, ja freut, wenn wieder einmal ein Satz so überraschend munter und doch tief durchdacht die wichtigsten Dinge des Lebens zusammenführt. Dieser Autor ist ein kluger und einfühlsamer Menschenfreund, ein präziser Beobachter und ein leidenschaftlicher Geschichtenerzähler. Wie schön, dass es solche Bücher gibt! Ob 14 oder 94, dieses Buch sollten alle lesen! Dieses Buch wird bleiben - und hoffentlich eines nicht so fernen Tages Kanon sein. Silke Grundmann
355 Seiten
22€

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