Mathias Enard: Kompass

Hanser Berlin
Was ist der Andere? Was ist der Andere in uns selbst, fragt der Protagonist in Mathias Enards Roman "Kompass" und führt damit leitmotivisch in das Zentrum dieses außergewöhnlichen, mit dem Prix Goncourt gekrönten Buchs. Erzählt wird der Roman aus der Perspektive des kranken Wiener Musikwissenschaftlers Franz Ritter, der während einer schlaflosen Nacht „halb geträumte“ Erinnerungen aufsteigen lässt, in denen sich die Geschichte der europäischen Faszination für die „Andersheit“, den Orient, widerspiegelt. Franz Ritters Reflexionen entfalten von der österreichischen Hauptstadt, der porta orientis, über Istanbul und Teheran bis nach Palmyra ein kulturelles Beziehungsgeflecht; ein weites geisteswissenschaftliches Panorama, das sich nur durch einen seit vielen Jahrhunderten gesuchten Austausch zwischen Orient und Okzident denken lässt. Neben Pilgern, Forschern und Wissenschaftlern verknüpfen in Ritters Selbstgesprächen Dichter (Goethe, Hofmannsthal, Hugo, Balzac) und Komponisten ( u.a. Mozart, Liszt, Hindemith) reale Begegnungen und kreative Einfälle zu Narrativen, die den Roman zu einem vergnüglichen, aber durchaus anspruchsvollen und gelehrten Orientexkurs verdichten. Zu Ritters glücklichen Erinnerungen gehören auch die Begegnungen mit der Literaturwissenschaftlerin Sarah, die aber sein Begehren nicht erwidert. Seine Sehnsucht nach ihr ist wie das Echo in einem Sehnsuchtsraum, in dem unser Blick auf das Morgenland noch voller Idylle und unbeschädigt von Terror und Religionskrieg war. Mathias Enard widmet Kompass den Syrern. Ihr Schicksal steht heute exemplarisch für unser gewandeltes Bild vom Orient: Ihre Flucht nach Europa ist zu unserer Furcht vor dem Osten geworden. be
416 Seiten
25,00€
Herbst 2016