Michail Prischwin: Der irdische Kelch

Guggolz Verlag
„Und was ist Russland? Am einen Ende geht die Sonne auf, am anderen unter, und auf einem so großen Territorium sagen alle, dass es zu wenig Land gibt und die Leute hätten nichts anzuziehen, gibt es auf Erden ein närrischeres Land als Russland?“
1922 schrieb Michail Prischwin mit dem „Irdischen Kelch“ ein noch heute irritierend modern wirkendes Prosastück nieder, das die brutale Zwangskollektivierung der ländlichen Güter durch die Bolschewiki 1919 zum Thema hat. Schauplatz ist ein abgelegen im Sumpf liegendes Empireschloss, das infolge der Umnutzung durch die neuen kommunistischen Machthaber binnen kurzer Zeit katastrophal heruntergekommen ist. Der Lehrer Alpatow, ein alter ego Prischwins, soll hier ein Museum des Gutslebens einrichten. Inmitten eines Ensembles skurriler Gestalten, Muschiks, Apparatschiks, Moosbeerweibern und Popen wird er gewahr, wie nicht nur das gesellschaftliche Leben aus den Fugen gerät, sondern wie auch die Natur sich nach den gewalttätigen Eingriffen langsam vom Menschen verabschiedet.
Prischwin bangte um die Veröffentlichung seines Buches und schrieb offensiv einen Brief an Trotzki. Dieser attestierte ihm zwar künstlerisches Talent, im Übrigen sei die Erzählung jedoch durch und durch konterrevolutionär. Erst 2004 konnte in Russland eine vollständige, unzensierte Ausgabe erscheinen.
Wir haben jetzt das Glück, dieses literarische Kleinod in einer bibliophil gestalteten Ausgabe in deutscher Übersetzung lesen zu dürfen. Geborgen hat diesen Schatz der auf osteuropäische und nordische Literatur spezialisierte Guggolz Verlag, übersetzt und mit unerlässlichen Anmerkungen versehen wurde das Buch von Eveline Passet, und Ilma Rakusa bringt in ihrem erhellenden Nachwort das Phänomen dieser faszinierenden Prosa auf den Punkt:
„Mitnichten eine flüssige Lektüre. Prischwins dokumentarisch abgefederte Erzählung ist kantig und bizarr, berührend und komisch, bitter und schön, schockierend und phantastisch, sie lebt von prägnanten Details, die dem Text Glaubwürdigkeit und Würze verleihen – und jeden Ideologen das Fürchten lehren.“ gw
171 Seiten
20€
Frühjahr 2016