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Andrea Wulf. Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur

C. Bertelsmann Verlag

Die in Großbritannien lebende und mittlerweile vielfach prämierte Autorin und Journalistin Andrea Wulf hat eine Biografie über Alexander von Humboldt (1769-1859) vorgelegt - was für ein Buch - man schlägt es immer wieder auf, um darin zu lesen.
Dem Leser begegnet, über die chronologisch-biographische Darstellung hinaus, ein extrem fortschrittlicher, radikal moderner Humboldt. So erkennt und deutet er Zusammenhänge zwischen Abholzung, Erosion und Klima bereits richtig; unbestechlich und weitsichtig ist er in der Bewertung politischer und sozialer Verhältnisse, in seiner Ablehnung von Kolonisation, Sklaverei und Ausbeutung menschlicher und ökologischer „Ressourcen“. Breiten Raum nehmen wunderbare Kapitel über den persönlichen Austausch und Umgang Humboldts ein und seine Bedeutung für Zeitgenossen wie Goethe, Jefferson, Bolívar, Darwin und Haeckel, sowie über sein Wirken auf britische Dichter wie Coleridge, Wordsworth und Southey. Die ganze Welt möchte Humboldt verstehen, alles ist ihm willkommener Erkenntnisgewinn; das Buch erschliesst wechselseitig die Dimensionen seines weltumspannenden Denkens und Wirkens.
Mehr noch: Alexander von Humboldt setzt sich als Mensch der Welt in jeder Hinsicht ohne Vorbehalte aus – er will sie körperlich und systematisch auch sinnlich erfahren – das ist in der zeitgenössischen Wissenschaft ein Novum. Wo diese Abgrenzung und Spezialisierung vorantreibt, geht Humboldt den entgegengesetzten Weg und bemüht sich um universale Zusammenhänge. Großartig ist Andrea Wulfs Darstellung des „rastlosen“ Humboldt, der unermüdlich zu Fuß, mit Kutschen und Schiffen reist, denkt und noch unter widrigsten Umständen arbeitet, oft bis an die Grenzen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit; immer wieder setzt er sich unberechenbaren Gefahren aus. So durchmisst er über drei Jahre extremste Klimate und Topographien Lateinamerikas, erkundet mit kindlicher, manchmal gefährlich naiver Neugier eine bis dahin teilweise völlig unbekannte Flora und Fauna, archiviert, beschreibt und lebt mit seinen Begleitern unter schwierigsten Bedingungen. Nach Europa bringt er 60 000 Pflanzenproben, davon fast 2000 für Europäer bis dahin unbekannte Arten.
Unermüdlich schleppt er seine Instrumente durch Europa, Süd-, Mittel- und Nordamerika, 1829 gar durch Russland, um bei jeder sich bietenden Gelegenheit und in allen Höhenlagen, besonders unerschrocken bei Beben und Vulkanausbrüchen, seine Messungen zu unternehmen. Und wie ist die Welt, in der Humboldt unterwegs ist, beschaffen – der Mensch könnte verzweifeln: Kriege um Vorherrschaft und Kolonien, Französische Revolution, Napoleonische Kriege, Amerika im Ringen um Demokratie und Befreiung von der Sklaverei; oft muss Humboldt besonderes diplomatisches Geschick und Kalkül aufbieten.
Andrea Wulf hat sich in nahezu alles - Werke, Briefwechsel, Zeugnisse und Quellen der Zeit - intensiv vertieft, sie hat weltweit Archive gesichtet und sich bis hin zur Besteigung des Chimborazo ihrem Objekt Humboldt mit bewundernswerter Ausdauer und großer Empathie genähert. Das Ergebnis ist ein großartiges Buch, zu Recht mit dem „Royal Society Science Book Prize“ ausgezeichnet, da es ausserordentliche schriftstellerische Begabung mit wissenschaftlicher Sorgfalt in einer lebendigen Weise verbindet, der der begeisterte, oft sehr vergnügte und mit wunderbarem Erkenntnisgewinn belohnte Leser nur Bewunderung zollen kann. mc

560 Seiten

24.99€

Herbst 2016