Aleida und Jan Assmann. Gemeinsinn. Der sechste, soziale Sinn

C. H. Beck Verlag
Gehen am Heiligen Abend viele Menschen in die Kirchen, die Provokationen der Weihnachtsgeschichte zu hören samt herzbewegender Musik, so sollten sie gleich im Gemeinsinn der Assmanns weiterlesen! Die Tochter des Heidelberger Neutestamentlers Günther Bornkamm legt hier einige Exkurse in christlicher Theologie hin, die es in sich haben und die weihnachtlich-umstürzlerischen („Er stößt die Mächtigen vom Thron“) Aussichten glasklar zur Sprache bringen.
Ein Buch wie gemacht für das Fest 2024, wie gedacht als Antwort auf die Weltmisere in Washington. Es ist ein kluges Buch - mitwachsend verfasst bis in aktuell gegenwärtige Situationen und zugleich philosophiehistorisch freundlich-gründlich erzählend, klärend, entfaltend, zurechtrückend, dialogisch und im allerbesten Sinne unterrichtend, ja, erinnernd und aufklärend zugleich, was hervorragend und so dringend nötig ist: Es macht gesprächsfähig in einer einem die Sprache verschlagenden Zeit, mit diesen in ihren Ländern zementierten Autokraten. „Gemeinsinn“ - ein in seinen Spielarten – Gemeinnutz, Gemeinwohl, Gemeinschaft – oft furchtbar pervertiertes Wort, von den schlimmsten Strömungen gerne als Schmuck mitgenommen. Überhaupt: Hilfreich und entlastend-befreiend zu lesen und zur eigenen Vergewisserung beitragenden Exkurse sind die Begriffsuntersuchungen zu Solidarität, Brüderlichkeit, Respekt wie auch der Blick auf die Beziehungsgrammatiken in unseren Freund- und Feindbildern. Es gibt unverkennbare Sympathieporträts, so von Karl Löwith und dem Mitmenschen, aber auch unbestechliche Schauerporträts wie von Carl Schmitt und seinem todbringenden Freund-Feind-Denken. Diese deutschen Großdenker, von denen man nach dem schrecklichen Elend nie, nie, auch nur ein einziges Mal das Wort Holocaust hörte...
Kein Katheder-Buch, sondern mit einem Schlusskapitel Helden und Heldinnen des Gemeinsinns, das den Stolpersteinen, Denkmälern, Tafeln, den versehrten Städten und dem Mit-einender-Reden gewidmet ist sich zuwendet. Höchst aufschlussreich ist Aleida Assmanns Hinweis darauf, dass die AFD nur von Zusammenhalt spricht, nie von Gemeinsinn! Gemeinsinn meint das Wohl der Allgemeinheit, daran ist die AFD trotz ihrer röhrenden Rhetorik nicht interessiert, sondern allein an ihrer Eigengruppe, und die hat enge Grenzen.
Ein Buch glänzender akademischer Belesenheit und argumentierbereiter Marktplatz-Debatten-Freudigkeit. Keine gesammelten Vorlesungen – im Sinne des Titels, eine menschenfreundliche Lektion zu Weihnachten, dem Fest des Gemeinsinns, des sechsten, des sozialen Sinns und natürlich des Lesens.
262 Seiten
25€