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Sachbücher

MAGNUS BRECHTKEN. ALBERT SPEER

Siedler Verlag

Muss man heute noch ein Buch über Albert Speer lesen, bei der Fülle dessen, was es bisher schon über dieses Thema gibt? Ja, man muss! Und zwar das gerade erschienene von Magnus Brechtken! Nach Jahrzehnten der Mythen- und Legendenbildung über Speer, ausgehend von seiner Autobiographie und den vielfältigen Selbstauskünften, ist die Zeit mehr als reif für eine Entzauberung. Dass Historiker und Biographen „naiv“ (Brechtken) seine Zeitzeugenschaft als vermeintlich authentische und belastbare historische Quelle wahr- und angenommen haben, verwundert in der Tat. Viele mögen schon vorher geahnt haben, dass „Speers Bekenntnis zu einer luftigen Gesamtverantwortung ohne konkretes Schuldbekenntnis“ (Brechtken) das Zeug hatte, Biografen und Historiker in die Irre zu führen. Es hat denn auch in der Vergangenheit dankenswerte Bemühungen gegeben, das Märchen vom unschuldigen, ja anständigen Nazi einer nüchternen Analyse zu unterziehen. Leider hatten sie nie den breiten Raum gewonnen, der ihnen gebührt hätte. Um so lobenswerter ist das Buch von Magnus Brechtken, der mit großer Detailfülle, immenser Sachkenntnis und einladender Vortragsweise eine notwendige, wenn auch manchmal schmerzhafte, Geschichtsstunde abhält. Sollte man dabei von „liebgewonnenen“ Vorstellungen Abschied nehmen müssen, dann haben wir es hier mit Aufklärung im besten Sinne zu tun. kp

912 Seiten
40,00€

GÜNTER KARL BOSE. BOOKISH! EIN BLICK ZURÜCK

Mit einem Essay von Michael Hagner
Wallstein Verlag

Bookish: zu übersetzen mit büchernärrisch oder eine Beziehung zum Buch haben oder in Beziehung auf das Buch, oder Interesse haben an, auch gern haben. Ach, Du Deutsche Sprache, wie  bist Du doch so ungelenk und phantasielos manchmal, bürokratisch umständlich und steif.
Bookish: muss man nicht übersetzen, versteht jeder! Oder?
Sein ganzes Leben lang hat Günter Bose, Professor für Typologie, Verleger, Gestalter von Büchern, Plakatkünstler, Herausgeber zahlreicher Schriften zur Kultur- und Mediengeschichte, Postkarten gesammelt, auf denen eines niemals fehlt: Bücher.
Menschen mit Büchern, Räume mit Büchern, Regale mit Büchern, Herren, Damen, Kinder in ernsthaften, wie komischen, unerwarteten, wie herzerfrischend und - erwärmenden Situationen: natürlich, inszeniert, spontan, gestellt, lustig, propagandistisch, erhaben, romantisch, erwartungsvoll, verführerisch, intellektuell, parodistisch, zufällig, entfremdet, liebevoll, antiquiert und nostalgisch - all das, aber vor allem immer irgendwie selbstverständlich. Mit dieser Selbstverständlichkeit ist es partiell vorbei. Oder nicht?
Dieser Bildband ist ein so unglaublich leidenschaftliches Plädoyer für zweierlei: das Buch und das Buch in der Fotografie. Der Essay lässt uns erhellt schmunzeln:
„Sammeln. Befriedigt, wie wir wissen die Objektlibido. Leben kann ... nur heißen, das das Buch unseren Kopf in Bewegung setzt. Also dann: Bücher auf Vorrat kaufen und sich dadurch in Bewegung halten." Oder: „Buch und Schlaf haben ein unkompliziertes Verhältnis zueinander. Wer sich hinlegt, um zu lesen, weiß, dass der Schlaf nicht fern ist. Wer regelmäßig über einem Buch einschläft, wird das kaum auf das Buch schieben und auch nicht mit dem Lesen aufhören. Die Fokussierung der Aufmerksamkeit kann eben auch hypnotisch sein, was weder gegen das Buch noch gegen seinen Leser spricht. Wer allerdings behauptet, Bücher seien so langweilig, dass er darüber einschlafe, ist selbst eine rechte Schlafmütze, in die nichts hineinzubringen und nichts herauszuholen ist."
Bookish - ein Blick zurück! Lesen und schauen! Sie werden garantiert nicht darüber einschlafen. sg

240 Seiten
29,90€

Peter de Mendelssohn. Zeitungsstadt Berlin. Menschen und Mächte in der deutschen Presse Neuausgabe, erweitert und aktualisiert von Lutz Hachmeister u.a.

Ullstein

In diesem Jahr feiert die Zeitungsstadt Berlin ihr 400jähriges Jubiläum: 1617 erschien die „Frischmann-Zeitung“, die erste regelmäßig erscheinende Publikation in Zeitungsform.
1928 gab es in Berlin etwa einhundert Tageszeitungen, zehn davon in fremden Sprachen, einhundert periodisch erscheinende Unterhaltungsblätter und vierhundert Fachzeitschriften.
Im April 1945 hatte Berlin nur noch ein (sehr kurzlebiges) Periodikum. Es hieß „Die Panzerfaust. Kampfblatt für die Verteidiger Groß-Berlins“. Groß-Berlin aber lag in Trümmern. Es gab keine Zeitungen mehr.
An diesem Nullpunkt setzt „Zeitungsstadt Berlin“ ein, um dann die Entwicklung und Vielfalt des Berliner Pressewesens in all seinen Facetten aufzufächern. Das Buch erschien erstmals 1959 und wurde sogleich ein Standardwerk für Medienwissenschaftler. Verfasser ist der 1908 geborene Schriftsteller und Thomas-Mann-Biograph Peter de Mendelssohn, der als Redakteur des „Berliner Tageblattes“ die Blütezeit der Berliner Zeitungslandschaft noch selbst miterlebt hatte. 1933 emigrierte er über Wien nach London, kehrte als britischer Offizier 1945 nach Deutschland zurück, wo er beim Aufbau der demokratischen Presse mitwirkte.
Dem Ullstein Verlag ist nicht genug zu danken, dass er dieses Referenzwerk dem Leser nun wieder neu zugänglich gemacht hat. Man staunt beim Lesen erneut über die stilistische Brillanz, mit der die enorme Materialfülle bewältigt wird, die Anschaulichkeit der Porträts und nicht zuletzt den Anekdotenreichtum dieses würdig gealterten Werks. Lutz Hachmeister hat es um ein Kapitel ergänzt, das über die Zeit der Wiedervereinigung bis zu den Umbrüchen der Gegenwart aufschließt.
Die Stadt Berlin habe ihre Zeitungen, so Mendelssohn, „geliebt und gehasst, verwöhnt und verachtet, verlacht und beweint“, sie aber „immer gelesen“. Man darf gespannt sein, was die Zeitungsvielfalt in Zeiten von digitaler Gratiskultur und WhatsApp der Gesellschaft wert ist. gw

816 Seiten

42,00 €

Peter Watson. Zeitalter des Nichts

C.Bertelsmann

Als Nietzsche im letzten Drittel des 19. Jhdts. Gott für tot erklärt hatte wurde das Ende einer Entwicklung markiert, in deren Zentrum die Frage nach Gott, dem Göttlichen, nach dem Tranzendenten stand. Nach diesem umstürzenden Diktum kam es in der abendländischen Geisteswelt und Gesellschaftsentwicklung zu rasanten Veränderungen und Experimenten, die bis heute anhalten. Religiöse Institutionen, der Glaube an das Jenseits, die Vorstellung von einer allgemeingültigen und unverrückbaren Wahrheit hinter oder über den sichtbaren, irdischen Erscheinungen, all das war mit einem Male nicht mehr gültig. Auch die Frage nach dem Sinn des Lebens musste demnach neu gestellt werden. Das gemeinsame Fundament aus Heilsgewißheiten, Wertestabilität und Hoffnung auf ultimative Gnade war plötzlich weg gebrochen..
Wie die Geisteswelt, also Philosophen, Wirtschaftsethiker, Psychologen, Moralisten, Schriftsteller und bildende Künstler mit diesem umstürzenden Paradigmenwechsel umgingen und wodurch er verursacht wurde, das ist der Gegenstand dieses hervorragenden, auch hervorragend lesebaren und umfangreichen Buches von Peter Watson, dem bekannten britischen Wissenschaftjournalisten, der schon durch einige kultur- und geistgeschichtliche Gesamtdarstellungen hervorgetreten ist. Es sei das Zeitalter des Nichts angebrochen schreibt er, obschon er es auch hätte das Zeitalter von Allem nennen können, denn alles geriet in Bewegung, alles war möglich. Alles das, was man vordem gewohnt war, Gott oder dem Göttlichen zuzuschreiben, musste jetzt woanders gesucht werden bzw. von woanders herkommen. Und die Bemühungen der Philosophen, Psychologen und Literaten, die bei der Geburt eines neuen Koordinatensystems die Geburtshelfer waren, schildert uns Watson ausführlich und anschaulich. So begegnet der Leser bekannten und weniger bekannten Männern und Frauen aus Philosophie und Kunst, deren Leistung im Lichte der Fragestellung des Buches und der Notwendigkeit auf diesen Paradigmenwechsel zu reagieren, ganz neu gewürdigt werden kann. Es wundert nicht, wenn man Namen liest wie Marx, Freud, Dewey, Wittgenstein etc.. Überraschend ist, wenn Watson auf die Beiträge von z.B. Proust, V. Woolf, Kafka, Lawrence und anderen hinweist.
Atheistische Ersatzreligionen wie der Nationalismus, der Faschismus und der Kommunismus beanspruchten den vakant gewordenen Thron, mit dem bekannten Ergebnis. Nachdem schon der erste Weltkrieg und seine Folgen die offenbare Abwesenheit Gottes sicht- und spürbar gemacht hat, um wieviel mehr der zweite mit seinem nicht zu überbietenden Grauen. Dieser Zusammenbruch aller religiöser oder spiritueller Traditionen und Gewißheiten hat Raum geschaffen für die Forderung nach neuen Mitteln und Wegen, der Welt einen Sinn abzugewinnen, wenn es denn einen gibt. Die verschiedenen Gesellschaftsutopien und –systeme gaben nicht genug Antwort auf die fundamentalen Fragen des Daseins. Watson macht unter anderem klar, dass mit der zunehmenden Psychologisierung unseres Denkens und Alltages die Sinnsuche immer mehr auf das eigene Selbst nach innen gerichtet wurde, mit Folgen, die man heute allenthalben beobachten kann. Kosmologen, Physiker und Evolutionsbiologen von heute kommen auch zu Wort und erweitern die Angebotspalette an Antworten.
Diese wenigen Andeutungen sind nur ein schwaches Abbild von der Menge des Materials, das Peter Watson dem Leser vorlegt. Er tut es mit nie erlahmendem Schwung und verhehlt nicht seine offenbar positive Einstellung zum Dasein in seiner Fülle und seinem Zauber.
Es ist nicht neu zu sagen, dass man die Gegenwart nur verstehen kann, wenn man von der Vergangenheit weiß, Das vorliegende Buch belegt aber beindruckend die Richtigkeit dieses Satzes. kp

768 Seiten

29,99 €

Heinz Schilling. 1517. Weltgeschichte eines Jahres

C.H.Beck

Das Buch des renommierten Historikers Heinz Schilling 1517. Weltgeschichte eines Jahres ist eine hervorragende Ergänzung zur biographischen Luther-Lektüre, die in großer Zahl anlässlich des 500jährigen Reformationsjubiläums vorliegt. Auch Heinz Schilling hat seine bereits 2012 erschienene, umfangreiche und viel gelobte Luther-Biographie Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs 2017 aktualisiert. Und wie bereits sein Luther liest sich Schillings neues Buch über die Welt der Lutherzeit, entgegen aller Kritik an sogenannten „süffigen Jahrbüchern mit farbiger Jahreszahl“ auf dem Cover, wunderbar flüssig und packend, ohne das notwendige Fundament wissenschaftlicher Sorgfalt im Umgang mit historischen Fakten und die Vielschichtigkeit und Tiefe der Darstellung zu vernachlässigen.
Heinz Schilling schildert fundiert die wesentlichen ideen-, sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Ereignisse, bezieht zentrale Schauplätze von Amerika über Europa bis China ein und entwirft eindrückliche Porträts wichtiger Protagonisten dieser Zeit. So entsteht das dichte Bild einer sich dramatisch neu konstituierenden Welt:
Fürsten- und Königsdynastien ringen mittels Heiratsdiplomatie und Militär um Vormacht. Angstvoll blicken die Menschen der anrückenden Bedrohung durch das Osmanische Reich entgegen, und die Modernisierung der Waffentechnik und des Militärwesens schreitet voran. Der Mensch ist sowohl dem Menschen als auch Naturgewalten und Umwelt unerbittlich ausgeliefert; Hexen- und Wunderglaube stehen neben theologisch-philosophischen Welterklärungsmodellen. Gleichzeitig beginnt ein expansiver Prozess, „der Europa immer enger mit den Lebenswelten anderer Kontinente in Beziehung brachte und damit das europäische Wissen erweitert“. Das sich dynamisch entwickelnde Geldwesen, das noch junge, aber bereits gut ausgebaute Medium des Buchdrucks ermöglichen einem kleinen gebildeten Teil der Gesellschaft überregionalen Zugang zu neuen Ideen und Wissen.
Diese Welt ist noch „keine globalisierte“, doch über neu entstehende Verkehrswege verwoben – ein unsicherer und aufregender, geographisch und ideell völlig neuer Kosmos.
Das von Dürer in einem Holzschnitt von 1515 dargestellte und auf dem Buchcover dem Porträt Luthers so passend gegenübergestellte asiatische Rhinozeros Odysseus versinnbildlicht den neuen Wissenshorizont. Vor diesem Hintergrund erschüttert Luthers Wittenberger Thesenpublikation im Jahr 1517 die theologischen Gültigkeiten seiner Zeit und setzt jenen Jahrhunderte dauernden Prozess der Säkularisierung und historisch-kritischer Schriftauslegung in Gang, der bis heute wirkt. Bereichernde, spannende und großartige Lektüre! mc

364 Seiten

24,95€

Sarah Bakewell. Das Café der Existenzialisten. Freiheit, Sein & Aprikosencocktails

C.H. Beck

In ihrem neuen Buch hat sich die preisgekrönte britische Schriftstellerin und Philosophin Sarah Bakewell die Hauptvertreter des Existenzialismus zum Thema gewählt – kenntnisreich und anschaulich, eine engagierte, sehr persönliche und spannende Darstellung seiner Entwicklungs- und Wirkungsgeschichte. Das Buch ist zugleich eine hervorragende Einführung in die europäische Geistesgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Der Existenzialismus ist eine Philosophie der extremen gesellschaftlichen, politischen, religiösen und wirtschaftlichen Krisen. Das Europa der Kriegs- und Nachkriegsjahre, das Paris der Besatzungszeit ist in jeder Hinsicht von Erschütterungen und äußerstem Mangel geprägt. Es entwickelt sich eine Generation, die kompromisslos auf der Suche nach Neuem ist. In den Hotels, Cafés und Jazzkellern von Paris entwerfen und diskutieren Sartre, Simone de Beauvoir, Raymon Aron, Camus, Merleau-Ponty und viele andere ihre Gedanken. Ideengeschichtliche Wegbereiter sind ihnen dabei u.a. Kierkegaard, Nietzsche, Husserl, Heidegger, Jaspers. Bakewell schildert beeindruckend deren unerschöpfliche Neugier, ihre Leidenschaften, ihren kompromisslosen Willen zum Wissen und ihre unglaubliche Produktivität. Mit nur wenigen Worten schreibt Sartre die seit der Antike bestehende, das ganze Mittelalter dominierende und von Husserl und Heidegger weitergeführte Diskussion um die Dominanz von Essenz / Wesen oder Existenz / Sein fest: „Die Existenz geht der Essenz voraus“. Der Fokus liegt damit auf dem Handeln des Einzelnen. „Du bist frei, also wähle“ - im positiven wie im negativen, stets aber radikalen Sinn eines „Sich-ins-Verhältnis-setzen-Müssens“ - sowohl privat als auch politisch.
Bestens eingeführt in zentrale Gedanken und Theorien dieser Zeit, erlebt der Leser Menschen aus „Fleisch und Blut“, ihre Liebesbeziehungen, ihre Stärken und Schwächen, ihre ideologischen Irrtümer, ihre Freund- und Feindschaften - und, besonders anrührend, auch Hinfälligkeit und Sterben. Darüber hinaus vermittelt Bakewell die Einflüsse auf Amerika und England, die zentrale Bedeutung für osteuropäische Denker des späteren 20. Jahrhunderts wie Václav Havel und Jan Patočka. Sarah Bakewell hat mit dieser „Kollektivbiografie“ den produktivsten und klügsten Köpfen dieser Zeit ein würdiges Denkmal gesetzt und gibt damit einen kraftvollen Anstoß zur erneuten Lektüre dieser wichtigen Denker und ihrer Werke. mc

448 Seiten
24,95€

Winter 2016

Andrea Wulf. Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur

C. Bertelsmann Verlag

Die in Großbritannien lebende und mittlerweile vielfach prämierte Autorin und Journalistin Andrea Wulf hat eine Biografie über Alexander von Humboldt (1769-1859) vorgelegt - was für ein Buch - man schlägt es immer wieder auf, um darin zu lesen.
Dem Leser begegnet, über die chronologisch-biographische Darstellung hinaus, ein extrem fortschrittlicher, radikal moderner Humboldt. So erkennt und deutet er Zusammenhänge zwischen Abholzung, Erosion und Klima bereits richtig; unbestechlich und weitsichtig ist er in der Bewertung politischer und sozialer Verhältnisse, in seiner Ablehnung von Kolonisation, Sklaverei und Ausbeutung menschlicher und ökologischer „Ressourcen“. Breiten Raum nehmen wunderbare Kapitel über den persönlichen Austausch und Umgang Humboldts ein und seine Bedeutung für Zeitgenossen wie Goethe, Jefferson, Bolívar, Darwin und Haeckel, sowie über sein Wirken auf britische Dichter wie Coleridge, Wordsworth und Southey. Die ganze Welt möchte Humboldt verstehen, alles ist ihm willkommener Erkenntnisgewinn; das Buch erschliesst wechselseitig die Dimensionen seines weltumspannenden Denkens und Wirkens.
Mehr noch: Alexander von Humboldt setzt sich als Mensch der Welt in jeder Hinsicht ohne Vorbehalte aus – er will sie körperlich und systematisch auch sinnlich erfahren – das ist in der zeitgenössischen Wissenschaft ein Novum. Wo diese Abgrenzung und Spezialisierung vorantreibt, geht Humboldt den entgegengesetzten Weg und bemüht sich um universale Zusammenhänge. Großartig ist Andrea Wulfs Darstellung des „rastlosen“ Humboldt, der unermüdlich zu Fuß, mit Kutschen und Schiffen reist, denkt und noch unter widrigsten Umständen arbeitet, oft bis an die Grenzen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit; immer wieder setzt er sich unberechenbaren Gefahren aus. So durchmisst er über drei Jahre extremste Klimate und Topographien Lateinamerikas, erkundet mit kindlicher, manchmal gefährlich naiver Neugier eine bis dahin teilweise völlig unbekannte Flora und Fauna, archiviert, beschreibt und lebt mit seinen Begleitern unter schwierigsten Bedingungen. Nach Europa bringt er 60 000 Pflanzenproben, davon fast 2000 für Europäer bis dahin unbekannte Arten.
Unermüdlich schleppt er seine Instrumente durch Europa, Süd-, Mittel- und Nordamerika, 1829 gar durch Russland, um bei jeder sich bietenden Gelegenheit und in allen Höhenlagen, besonders unerschrocken bei Beben und Vulkanausbrüchen, seine Messungen zu unternehmen. Und wie ist die Welt, in der Humboldt unterwegs ist, beschaffen – der Mensch könnte verzweifeln: Kriege um Vorherrschaft und Kolonien, Französische Revolution, Napoleonische Kriege, Amerika im Ringen um Demokratie und Befreiung von der Sklaverei; oft muss Humboldt besonderes diplomatisches Geschick und Kalkül aufbieten.
Andrea Wulf hat sich in nahezu alles - Werke, Briefwechsel, Zeugnisse und Quellen der Zeit - intensiv vertieft, sie hat weltweit Archive gesichtet und sich bis hin zur Besteigung des Chimborazo ihrem Objekt Humboldt mit bewundernswerter Ausdauer und großer Empathie genähert. Das Ergebnis ist ein großartiges Buch, zu Recht mit dem „Royal Society Science Book Prize“ ausgezeichnet, da es ausserordentliche schriftstellerische Begabung mit wissenschaftlicher Sorgfalt in einer lebendigen Weise verbindet, der der begeisterte, oft sehr vergnügte und mit wunderbarem Erkenntnisgewinn belohnte Leser nur Bewunderung zollen kann. mc

560 Seiten

24.99€

Herbst 2016

Didier Eribon. Rückkehr nach Reims

Suhrkamp Verlag

Didier Eribon ist einer der wichtigsten Intellektuellen Frankreichs, Schüler Pierre Bourdieus, Freund und Biograf Michel Foucaults, renommierter Philosoph und Soziologe.
Seine bereits 2009 bei Fayard erschienene und nun ins Deutsche übertragene Autobiografie ist ein großartiges Buch von außerordentlicher Wucht und Stärke, voller Klugheit, Melancholie und Zorn, bewundernswert in der Kombination persönlicher Beobachtungen und tatsächlichen Nach - Denkens.
Offen und frei von Eitelkeiten beschreibt, analysiert und reflektiert Eribon die Bedeutung und Auswirkungen seiner proletarischen Herkunft und Homosexualität auf seinen Bildungs- und Lebensweg; konsequent durchdringt er die Psychologie eigener und gesellschaftlicher Ambivalenzen im Fühlen, Denken und Handeln in Bezug auf seine familiäre und unmittelbare Umgebung.
Damit trifft er ins Mark einer Gesellschaft, in der unterdrückte und aufbrechende Gewalt, intellektueller und antiintellektueller Dünkel, Elitedenken und ausgeprägte Hierarchien, Scham und Ausgrenzung erschütternde Konstanten mit weitreichenden Folgen geworden sind.
Dieser das Eigene bis zur Schmerzgrenze sezierende Blick lässt oft frösteln, greift und rührt durch eine klare und angenehm lesbare Sprache extrem an - und mancher Rezensent wirft ihm „sozialromantische“ Attitüde und Kokettieren mit angestrebtem Außenseitertum vor – als Soziologe ist sich Eribon jedoch der möglichen und vor allem vielfältig durchdringenden Hypotheken von Vergangenheit mehr als bewusst.
Die enorme Kraft seines Buches liegt am Ende in der sehr persönlichen und sensibel differenzierenden Darstellung eines Lebensweges mit all seinen nicht aufzulösenden Widersprüchlichkeiten – fast nichts liegt in der Hand des Didier Eribon und er kämpft entschieden immer weiter.
Unbedingt zur Lektüre empfohlen! mc

240 Seiten

18€

Sommer 2016

Martin Bossenbroek. Tod am Kap

C.H. Beck Verlag

Der niederländische Historiker Martin Bossenbroek stellt in seinem umfangreichen Buch „Tod am Kap“ facettenreich und komplex, doch ungemein lesbar den Burenkrieg (1899-1902) vor. Er macht dem Leser bei aller Stofffülle auf lebendigste Weise anschaulich, wie kolonial-imperialistische Abenteuerlust des militärischen Goliath England und die Angst vor Überfremdung durch die vorwiegend britischen „Uitlanders“(Ausländer) auf Seiten der Buren, die fürchteten eine Minderheit im eigenen Land zu werden, zu einer Vorstufe des totalen Krieges wurde, wie er dann im 1.Weltkrieg zur vollen Entfaltung kam. Dabei kamen alle typischen Verfahrensweisen zum Einsatz: die Strategie der verbrannten Erde, die Schonungslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung (ohne Rücksicht auf Frauen und Kinder), Einrichtung sogenannter „concentration camps“. Das alles unter den Augen der Weltöffentlichkeit – es waren nicht weniger als 200 Journalisten am Ort, die unausgesetzt über die kriegerischen Auseinandersetzungen berichteten,bei denen es eine ungeheuer große Zahl an zivilen wie militärischen Opfern gab. So ist denn auch die Rolle der Medien im Krieg ein Thema, das der Autor eindringlich beleuchtet.
Er benutzt im übrigen bei seiner Darstellung u.a. die Aufzeichnungen des niederländischen Juristen W. Leyds, die Berichte des damaligen britischen Kriegsberichterstatters Churchill und die Eintragungen des burischen Kämpfers D. Reitz. So entsteht eine vielstimmige, unvoreingenommene Darstellung eines Krieges, bei dem es eigentlich nur Verlierer gab.
Der ungeheure Imageschaden, den England erlitt, ließ einen einigermaßen moderaten Frieden zu, der nach wenigen Jahren zu einer Annäherung der beiden Kriegsgegner führte. Gemeinsam verschrieben sie sich in der Folge der zunehmenden Entrechtung der ursprünglichen schwarzen Bevölkerung. Daraufhin wurde 1912 der ANC gegründet usw...
Wer also die Geschichte Südafrikas von Anfang des 20. Jhdts. Bis heute begreifen will kommt um diese lohnenswerte Lektüre nicht herum. kp

624 Seiten

29,95€

Frühjahr 2016

Reinhard Kaiser. Der glückliche Kunsträuber. Das Leben des Vivant Denon

C.H. Beck Verlag

Der Franzose Dominique Vivant Denon (1747 – 1825) war eine der schillerndsten und kunstverständigsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Reinhard Kaiser, vielfach ausgezeichneter Schriftsteller, Publizist und Übersetzer hat nun Denons von 1788 an lebenslang geführten Briefwechsel mit seiner Geliebten und Freundin Elisabetta Teotochi Marin zur Grundlage einer sehr spannenden und kurzweiligen Biografie gemacht.
Denon entflieht seiner zwar wohlhabenden aber provinziellen und anregungsarmen Herkunft aus Chalon-sur-Saône mit nur 16 Jahren nach Paris. Auf ausgedehnten Italienaufenthalten wächst seine Antikenbegeisterung. Er schult systematisch seinen Blick und entwickelt Sehen und Zeichnen zu seinem unentbehrlichen Rüstzeug.
Denon erlebt die Französische Revolution, den Terror der Revolutionsjahre, den Wandel und Umbau der Republik durch Napoleon zum autokratischen System. Durch Neugier, lebenslangen Wissensdrang, in jeder Hinsicht diplomatisches Geschick und günstige Umstände gelangt er, immer wieder protegiert durch Freunde und Größen seiner Zeit in die Position des bedeutendsten Mannes der französischen Kultur: Napoleon ernennt ihn im November 1802 zum „Directeur général des musées“ und damit auch zum ersten Direktor des Louvre. Zentrale und großartige Kunstwerke werden planmäßig unter Napoleon im Dienst der Vermehrung des Ruhms der neuen Nation erbeutet. Denon habe die Politik des nationalen Kunstraubs für Frankreich zwar nicht erfunden oder in Gang gesetzt, er habe sie aber so energisch und sachverständig betrieben wie niemand in den Jahren vor ihm, schreibt Reinhard Kaiser treffend.
Das Buch ist weitaus mehr als nur biografische Beschreibung einer illustren und leidenschaftlichen Persönlichkeit: Als Epochengeschichte gewährt es tiefe Einblicke in Beziehungen, das Salonleben, diplomatisches Geschehen und bewegtes Kunstverständnis der Zeit; darüber hinaus ist es eine großartige Entstehungsgeschichte der europäischen Museen und der durchaus schillernden Grundlagen ihrer Sammlungen. mc

399 Seiten

24,95€

Frühjahr 2016

David Nirenberg. Anti-Judaismus. Eine andere Geschichte des westlichen Denkens

C.H.Beck Verlag

David Nirenberg untersucht die Rolle, die der „Jude“, das „Jüdischsein“ insbesondere im westlichen Denken spielen. Dabei geht es nicht um die Rolle realer Personen, Volksgruppen oder Religionsgemeinschaften, wie sie vomAntisemitismus angegriffen werden, sondern um eine Idee vom „Jüdischsein“ und vom „Judaisieren“, die das westliche Denken durchzieht, die sich aber auch im Islam und sogar im antiken Ägypten nachweisen lässt. Insbesondere im frühen Christentum wurde ein erbitterter Streit um die Frage geführt, wie viel des jüdischen Gesetzes von den Christen zu übernehmen sei. Denn nachdem man beschlossen hatte, neben Juden auch Heiden zu bekehren, hatte Petrus darauf bestanden, dass bekehrte Heiden zur Beschneidung und zur Einhaltung der Gesetze verpflichtet seien. Paulus dagegen war der Meinung, dass die Bekehrung zum Christentum keinen Übertritt zu Judentum bedeuten müsse. Dieser Streit, der die Texte der Evangelien prägte und über Jahrhunderte geführt wurde, hat im Westen ein Bild des Juden als geistlosen, buchstabenfixierten Materialisten entstehen lassen, von dem sich der wahre Christ zu hüten habe. Für die Diskussionen um diese Fragen spielte die Anwesenheit realer Juden kaum eine Rolle, ja sie wurde häufig in Gesellschaften schärfsten geführt in denen kaum oder gar keine Juden lebten. Im Lauf der Geschichte ist der „Jude“ zum Gegenbild des frommen Christen geworden, die „Judaisierung“ zur ständigen Gefahr der christlichen Gesellschaft: Was auch immer einem Christen widerfahren mochte, er durfte jedenfalls nicht „jüdisch“ sein. Dass sich dieser Streit in der Zeit der Reformation noch einmal verschärft, indem von beiden Seiten der „Jude“ zur Bestimmung der Gottlosigkeit der jeweils anderen gebraucht wird, ist wenig überraschend. Der Leser von Nirenbergs materialreicher Studie beginnt allerdings auf die sich abzeichnende Epoche der Aufklärung zu hoffen, in der dieser Hass auf Juden und das „Jüdische“ doch ein Ende nehmen sollte. Die Hoffnung wird enttäuscht, der Anti-Judaismus findet sich bei dem jüdischstämmigen Spinoza, bei Voltaire – der in seinem Leben keinem Juden begegnet war –, er zieht sich durch das Denken von Kant und Hegel bis zu Marx. Die Judenfrage in den europäischen Gesellschaften müsse gelöst werden, schreibt Marx; dabei geht es ihm allerdings nicht um reale Juden, sondern um jene, die dadurch judaisiert seien, dass sie das Geld zu ihrem Gott erhoben hätten. Es scheint, dass das westliche Denken seit nun zweitausend Jahren nicht ohne dem "Juden" als sein zu überwindendes Gegenbild auskommen kann. Nirenbergs hervorragende Studie ist oft niederdrückend, aber unbedingt lesenswert. Sie zwingt zum Nachdenken, zum Hinterfragen unserer geistigen Tradition und sie stellt das Bild der viel beschworenen „christlich-jüdischen Kultur“, die Europa geprägt habe, in radikaler Weise infrage. sd

587 Seiten
39,95€


Sommer 2015

Hans Joas. Sind die Menschenrechte westlich?

Kösel Verlag

Wenn die Kanzlerin – eine westliche Politikerin – nach China reist, so wird von ihr jedesmal erwartet, dass sie die Menschenrechtslage zur Sprache bringe. Ebenso regelmäßig lehnen chinesische Politiker dies als westliche Einmischung in chinesische Angelegenheiten ab. Kaum jemand kann sich des Eindrucks erwehren, dass die Menschenrechte ein genuin westlicher Gedanke seien, den wir nun dem Rest der Welt irgendwie nahe bringen müssen bzw. dessen Befolgung wir einfordern dürfen. Hans Joas untersucht die Geschichte der Menschenrechte, zeigt, dass ihre Ursprünge – die er mit der Sakralisierung der Person verbindet – keineswegs nur in westlichen Kulturen zu finden seien. Und er zeigt die erschütternde Tatsache, dass die Idee der Menschenrechte des gleichen Geistes Kind ist, wie die Rechtfertigung von Folter und Sklaverei, aber paradoxerweise auch ihrer Ächtung und Abschaffung. Sehr deutlich wird auch, dass die Menschenrechte, die ja universell zu sein beanspruchen, niemals für alle Menschen gegolten haben und bis heute nicht gelten: Während der Kolonialzeit und bis in den Algerienkrieg galten die Menschenrechte bestenfalls für die Bürger der Mutterländer, keineswegs aber im gleichen Maße für die Menschen in den Kolonien. Und heute genügt z.B. den USA eine Bedrohung der nationalen Sicherheit, wie sie durch den 11. September 2001 entstanden ist, um das prinzipielle Folterverbot und andere Grundrechte außer Kraft zu setzen – wobei sich nicht wenige europäische Staaten dazu verleiten ließen, diese schmutzige Spiel zu dulden oder gar zu fördern.
Joas’ Studie macht erschreckend deutlich, dass die Menschenrechte weder ein Produkt noch gar ein Besitzstand des Westens sind. Sie sind vielmehr seine vornehmste Aufgabe, an der er sich zu beweisen hat, der er allerdings auch heute noch kaum gewachsen zu sein scheint. sd

96 Seiten

10,00€

Sommer 2015

Christian Bommarius Der gute Deutsche. Die Ermordung Manga Bells in Kamerun 1914

Berenberg Verlag

Im Februar 1885 endete die Berliner Konferenz zur Kolonialpolitik der europäischen Mächte mit der endgültigen Aufteilung Afrikas. Sie war der Beginn einer mit beispielloser Brutalität und Ausbeutung durchgesetzten Unterwerfung dieses Erdteils durch Europa.
Ideologisches Rüstzeug war neben bestimmten christlichen Versatzstücken das ebenso nebulose wie politisch wirkungsvolle Konstrukt der Rassenlehre mit ihrer Einteilung in Herren- und Sklavenvölker, in Schwarz und Weiß. Sie diente dazu, die gnadenlose Ausbeutung schwarzer Arbeitskräfte und Bodenschätze als zivilisatorisches Projekt zu verkaufen, und Afrika mit dem, wie Hannah Arendt es treffend nennt, „Bodensatz und Gesindel in Europa überflüssiger junger Männer“ zu überschwemmen, die zu allem, nur nicht zu zivilisatorischem Handeln imstande waren.
Dass Deutschlands Beitrag zu diesem Zivilisationsbruch in den ihm zugesprochenen Kolonien von besonderer Menschenverachtung und Brutalität geprägt war, ist inzwischen historisch aufgearbeitet, im allgemeinen Geschichtsbewusstsein aber wenig präsent.
Das kürzlich erschienene Buch von Christian Bommarius könnte diesem Defizit abhelfen. Bommarius zeigt am Beispiel des bewusst in Deutschland ausgebildeten und mit deutscher Kultur und deutschem Recht bestens vertraut gemachten Kameruner Häuptlingssohns Manga Bell, die Praktiken deutscher Kolonialpolitik. Er sollte einmal in Kamerun die Herrschaft im Sinne deutscher Interessen übernehmen. Dass er stattdessen seine in Deutschland erworbenen juristischen Kenntnisse anklagend gegen Grausamkeit, Ausbeutung, Willkür und Vertragsbrüchigkeit der deutschen Kolonialpolitik wendete, wurde ihm zum Verhängnis: Manga Bell wurde 1914 erhängt.
Ein spannendes, erschütterndes und unentbehrliches Buch. mc

152 Seiten
20,00€

Sommer 2015

Achille Mbembe. Kritik der schwarzen Vernunft

Suhrkamp Verlag

Was in der Aufarbeitung der europäischen Kolonialpolitik im ganzen bisher fehlte, ist eine stringente Darstellung und Analyse der psychischen, mentalen und, wenn man es so nennen will, philosophischen und psychoanalytischen Begleiterscheinungen des Kolonialismus aus dem Blickwinkel der Unterworfenen und Versklavten. Hierin haben die Schriften des algerischen Psychiaters Frantz Fanon (speziell zur französischen Kolonialpolitik in den 50er und 60er Jahren) enorme Vorarbeit geleistet.
2014 nun erschien in deutscher Übersetzung aus dem Fanzösischen das Buch des Kameruner Philosophen und Historikers Achille Mbembe. Er beschreibt und analysiert, ausgerüstet mit den „Werkzeugen“ des aktuellen französischen Denkens, Foucault, Deleuze, Guattari, Badiou, Lacan u.a., in wesentlichen Zügen die auf einer früh entwickelten Biopolitik und dem Phantasma der Rassenlehre gegründete Konstruktion des europäischen Blicks auf den „Neger“ als „menschliches Objekt“ und „Ware“, sowie die psychischen, sozialen, letztlich auch politischen Folgeerscheinungen dieses phantasmatischen Blicks: seine Übernahme durch die Schwarzen.
Mbembe zeigt, dass das kapitalistische Denk- und Wirtschaftssystem ohne die Sklaverei nicht hätte entstehen können, und wie sich diese Einschwärzung im Sinne einer extremen Trübung und Reduzierung der Vernunft im sog. Neoliberalismus mit seiner „kannibalischen Struktur“ nun über den ganzen Erdball verbreitet hat. Der Negersklave ist somit nur das erste Produkt der Gewalt, mit der die immer auch humane Natur des Menschen zum Ding, zur Ware, zum Wegwerfartikel gemacht wurde. Die Befreiung aus diesem Denk- und Lebenskäfig beginnt für Mbembe mit einer „Änderung des Blicks auf den Anderen“.
Ein wichtiges Buch, das den Horizont des aufnahmebereiten Lesers radikal öffnen und erweitern könnte. mc

332 Seiten
28,00 €

Sommer 2015

Greg Woolf. Rom. Die Biographie eines Weltreichs

Klett Cotta Verlag

Was hielt und hält Weltreiche und Nationen zusammen, wie funktionieren sie, was läßt sie scheitern, was läßt sie bestehen?
Die Suche nach „Schaltstellen und Mechanismen" beim Entstehen und Niedergang von Imperien beschäftigt zahlreiche Wissenschaftler und scheint vor dem Hintergrund des Zerfalls großer Machtzentren, sowie der Fragilität vermeintlich stabiler Nationengebilde der Moderne, verständlich und notwendig zu sein.
Der renommierte, in Oxford und Cambridge ausgebildete Altertumswissenschaftler Greg Woolf, unternimmt die Suche nach derartigen Wirkungszusammenhängen, besonders unter dem Aspekt der Stabilität (und nicht vorrangig des Verfalls) am Beispiel Roms als europäischer Urzelle imperialen Machtstrebens und einzigartigen Projekts eines im damaligen Sinne weltumspannenden Reiches von erstaunlicher Dauer. Darüber hinaus war und ist dieses Imperium Romanum struktureller und ideeller Bezugspunkt imperialer Bemühungen bis in die Moderne.Woolf selbst betont die große Zahl ausgezeichnet erzählter Darstellungen der Römischen Geschichte – es genügt ein Blick auf die von ihm im Anhang aufgelistete Literatur. Über den rein materiellen Bestand hinaus möchte er jedoch ausdrücklich die Sicht der Reichsherrschaft des damaligen Menschen erfassen und stellt den Reichsgedanken ins Zentrum seiner Schilderungen.
Ein knapp einführender, fundierter und sinnvoll chronologisch aufgebauter Exkurs zu zentralen Wendemarken wie Königszeit und Republik, früher Kaiserzeit und spätrömischem Reich bietet dabei einen erleichternden und schnellen Zugang zum Rom der Antike.
Insgesamt versteht es Woolf in der Folge hervorragend, die gründliche Kenntnis der Fakten in durchaus großen Bögen auf Wesentliches zu komprimieren und in neue, anregende Zusammenhänge zu überführen.
Bereits seit seiner Studentenzeit ist der Historiker von der „Langlebigkeit Roms" fasziniert und gefesselt – diese Begeisterung versteht Greg Woolf eindrucksvoll zu vermitteln und seine Erkenntnisse fesselnd zu erzählen. Ambitioniert und gelungen! mc

495 Seiten
29,95 €

Frühjahr 2015

Heinrich August Winkler. Geschichte des Westens. Zeit der Gegenwart

C.H.Beck Verlag
 
Heinrich August Winkler hat jetzt mit „Die Zeit der Gegenwart" seine vierbändige „Geschichte des Westens" zum Abschluss gebracht. Diese zukunftsorientierte Vergangenheitsvergewisserung, ein monumentales, einzigartiges und sprachlich brillantes Werk, ist geprägt durch einen Mehrfachcharakter. Einerseits stellt es die Geschichte unter die Perspektive der Durchsetzung der Menschenrechte und Demokratie und ihrer Dementierungen, andererseits ist es ein Handbuch, das die Ideen-, Ereignis- und Machtgeschichte historiographisch neu betrachtet. Es liefert einen Ariadnefaden durchs Labyrinth des geschichtlichen Chaos. Der Historiker erweist sich als Ordnungsdenker und bestätigt, ein standortfreier Historiker ohne Perspektive ist unmöglich und erst das macht ihn bedeutend. Der vierte Band hat den Anspruch, einen Beitrag zur Ortsbestimmung der Gegenwart zu leisten, er beschreibt die Jahre 1991-2014. Wie immer bei Winkler geschieht das in beeindruckender Dichte und Informationsfülle. Heinrich August Winkler ist sich dabei bewusst, dass er als Historiker mit der Einordnung und Bewertung der unmittelbaren Zeitgeschichte dünnes Eis betritt, denn die Quellenlage dazu ist vielfach nicht ausreichend. Doch dies macht auch den besonderen Reiz seines Werkes aus, denn als Kommentator des laufenden geschichtlichen Prozesses nimmt Winkler, wie schon so oft, die Position des öffentlichen Intellektuellen ein. In der Summe können wir als Leser und Öffentlichkeit dieses Werk nicht hoch genug bewerten, und dem Gelehrten und streitbaren Intellektuellen dafür nur dankbar sein. „Die Geschichte des Westens" sollte nicht nur in vielen Bücherschränken stehen, sondern auch gelesen werden. cr
 
687 Seiten
29,95€

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