Millay Hyatt. Nachtzugtage

Friedenauer Presse
Weihnachten und Silvester gehören für viele Menschen zu den Zeiten, an denen man nach Hause kommt, in den Kreis der Familie zurückkehrt und zwischen den Jahren dieses und jene Wiedersehenstreffen erlebt. Andere dagegen wollen dem entschieden aus dem Weg gehen und buchen schon früh die Flucht – obwohl in jedem Flughafen dieselbe Musik tönt.
Ungleich aufregender ist es im Nachtzug, da treffen die eigentlichen Lebensgeschenke zusammen, da ist der Mensch „unterwegs“, „auf dem Wege“, „zwischen den Welten“, preisgegeben, angewiesen, abhängig und ausgeliefert, z.B. dem Nachtzugbegleiter, einer hoheitsvollen Gestalt zwischen Leben und Tod. Die hingebungsvollen Porträtstudien zu den nie auszulotenden Unterschieden zwischen einem Schlafwagenschaffner und einen Nachtzugbegleiter machen das Buch zur Pflichtlektüre jedes Verkehrsteilnehmers. Man hört nicht von erhöhten Aufkäufen des Titels durch die Deutsche Bundesbahn.
„Tagsüber macht man Ausflüge, aber nachts reist man“ (Tove Jansson) ist das Geleitwort für das Nachtzug-Buch der amerikanischen Philosophin, Übersetzerin, Autorin und gelegentlichen Bühnen-Schauspielerin Millay Hyatt. Mit diesem Wort beginnt ein wehmütiges Sehnen und Ziehen in den Gefühlen des Lesenden, das sich von Kapitel zu Kapitel verstärkt.
Ist man erst mal auf der Strecke, heißt es: „Eigentlich wollte ich nach Moskau fahren. Am Berliner Ostbahnhof ein- und - ohne den Zug zu wechseln - nach nur einer Nacht in der russischen Hauptstadt wieder aussteigen. Dann vielleicht mit der Transsibirischen Eisenbahn weiter nach Krasnojarsk oder Ulan-Ude oder, warum nicht ganz nach Wladiwostok? Die Kapitel Nachtzugbegleiter, Fenster, Umsteigen, Grenzen, Schlaf, Improvisieren, Nach Hause und Passage du désir kann man nicht unterbrechen, denn man fährt mit, mitfahren ist mitlesen. Äußerst unterhaltsam ist die eingestreute weltweite Reiseliteratur; sieben Seiten und nahezu enzyklopädisch hat Millay Hyatt (Jg. 1973, aus Dallas/Texas) alles gesammelt, was jemals zum Reisen und der Eisenbahn geschrieben wurde – ein exzentrischer und hochwillkommener Literaturzweig!
240 Seiten
24€