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Romane

Damon Galgut. Das Versprechen

Aus dem südafrikanischen Englisch von Thomas Mohr
Verlag Luchterhand

Schon zum dritten Mal stand der südafrikanische Schriftsteller Damon Galgut auf der Shortlist für den Booker Prize, als er ihn 2021 für „Das Versprechen“ erhielt.
Es erzählt den Verfall einer weißen südafrikanischen Farmerfamilie, beginnend im Apartheitsregime in den 1980er Jahren bis zum Ende der 2010er Jahre. Die Erzählung wird durch die Todesfälle in der Familie strukturiert, die den Hinterbliebenen Anlass geben zusammenzufinden. Zu Beginn des Romans nimmt die todkranke Mutter der fünfköpfigen Familie ihrem Ehemann das Versprechen ab, der schwarzen Haushaltshilfe Salome, die sich mehr um sie gekümmert hat als ihre Angehörigen, das kleine Häuschen, in dem sie lebt, zu übereignen. Die jüngste Tochter Amor wird Zeugin des Versprechens, das über Jahrzehnte nicht erfüllt und bei jedem Trauerfall erneut zum Thema wird. Der Roman wird in einem stream of consciousness erzählt, wechselt dabei aber immer wieder die Perspektive. Galgut bleibt eng bei den weißen Protagonistinnen, die sich überwiegend selbst als Opfer der politischen Veränderungen betrachten und kein Bewusstsein für ihre Täterschaft und ihre Mitverantwortung am rassistischen System entwickeln. Entsprechend bekommt auch Salome keine Stimme. "Das Versprechen" porträtiert den Zustand der weißen Gesellschaft Südafrikas bissig und wortgewandt. Der Übersetzer Thomas Mohr hat es auf beeindruckende Weise geschafft, die nahtlosen Übergänge der Bewusstseinsströme in die deutsche Sprache zu übersetzen und den Humor Galguts beizubehalten. Christine Mathioszek

366 Seiten
€ 24,-

Douglas Stuart. Shuggie Bain

Aus dem Englischen von Sophie Zeitz
Verlag Hanser Berlin


Es ist die Zeit der Massenarbeitslosigkeit der Bergleute im und um das niedergehende Glasgow der 1980er Jahre, die große Zeit von Margaret Thatcher. Shuggie Bain ist aus dem harten Stoff jener Gegensätze entstanden, aus dem schon Billy Elliott gemacht war, der Film über einen Jungen aus einer Arbeiterfamilie im nordenglischen Bergarbeitermilieu, der lieber zum Ballett als zum Boxen gehen möchte. Auch Shuggie Bain lebt von Gegensätzen. Wenn Agnes nach einigen Wodka und Bier aus der Teetasse in ihrem schönsten Queen’s English die unflätigsten Ausdrücke benutzt und im Nerzmantel das billigste Lagerbier einkaufen geht. Oder wenn sie in ihrem rosa Angora-Pullover mit den Glasperlen »glitzernd und flauschig am Boden liegt wie ein abgelegtes Partykleid«, weil ihr Mann sie verprügelt hat; wenn ihr kleiner Sohn Shuggie ihr in Krawatte und mit sorgfältig gescheiteltem Haar nach einer alkoholdurchtränkten Nacht den Eimer hinhält – und überhaupt gilt bei allem Elend immer: auf Agnes Kinder kommt kein Kohlenstaub, und wenn sie ihrer Mutter das Erbrochene vom Rock kratzen müssen.

Am Ende kann der kleine, zarte Shuggie in dieser verdrehten Welt seine schöne Mutter Agnes natürlich nicht retten, denn gegen den Alkohol kommt er nicht an. Aber wenn er sie auch verliert – seinen Stolz und seine Träume bewahrt er sich. Den Kopf immer schön erhoben halten, wenn der Hals auch dreckig ist - das hat ihm seine Mutter eingetrichtert.

Uns hat die Lektüre auch süchtig gemacht – nach mehr Shuggie Bain.
nc

494 Seiten
26€

Natascha Wodin. Nastjas Tränen

Rowohlt Verlag

Als die Schriftstellerin Natascha Wodin in ihrer Westberliner Altbauwohnung ukrainische Musik auflegt, laufen ihrer kürzlich eingestellten Putzhilfe Nastja Tränen übers Gesicht. Unversehens steht Wodin damit am Anfang einer Geschichte, einer „Ost-West-Geschichte“ wieder einmal. Eine Geschichte wie ihre eigene, die Wodin schon innerlich befriedet glaubte. Doch die fremden gleichzeitig so vertrauten Tränen lassen die Autorin nicht kalt. Und so beginnt sie von Nastja zu erzählen, ihrer Vergangenheit und ihrem An- und Durchkommen in Deutschland.Nastja hatte in Kiew ein Studium zur Bauingenieurin begonnen und Roman kennengelernt. Zusammen verbrachten sie unbeschwerte Tage auf der Krim und beschwerliche Jahre in poststalinistischer Enge. Nach 1989 wurde ihre ökonomische Situation untragbar. Nastja nimmt also den Zug nach Berlin, allein.Dort angekommen lebt sie den Alltag einer Arbeitsmigrantin, der hautnaher kaum erzählt sein könnte. Nastja macht alles durch: Etliche Putzjobs, eine ausbeuterische Zweckehe, die drohende Abschiebung. Natascha Wodin hilft Nastja schließlich, sie organisiert, sie setzt sich ein. Und findet für Nastjas Schicksal eine nüchterne, fast sachliche Sprache, doch durchsetzt mit Momenten lakonisch-lichter Poesie. Diese Balance sowie der Einblick in das komplexe Verhältnis beider Frauen zueinander, machen Nastjas Tränen zu einem anrührenden gleichzeitig aufklärenden Stück realistischer Literatur. Ein wichtiges, wertungsfreies, und doch engagiertes Buch! tw

192 Seiten
22€

Fridolin Schley. Die Verteidigung. Roman

Verlag Hanser Berlin

Im November 1947 wurde in Nürnberg der sogenannte „Wilhelmstraßen-Prozess" eröffnet - angeklagt waren hochrangige Diplomaten aus dem Auswärtigen Amt, u.a. Ernst von Weizsäcker, seit 1938 in der NSDAP und SS und einer der ranghöchsten Diplomaten unter Ribbentrop und Himmler. Die Verteidigung übernahm Hellmut Becker, der in der späteren Bundesrepublik Leiter des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung wurde - an seiner Seite, sein Assistent Richard von Weizsäcker, der Sohn. Eine solche Konstellation muss man sich vergegenwärtigen: Der Sohn verteidigt den wegen schwerster Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagten Vater. Darüber hat Fridolin Schley einen dokumentarischen Roman geschrieben, der sich aller emotionalen Sprache enthält, sein Wissen und seine Beschreibungskraft aus Dokumenten, Aufzeichnungen, Protokollen und der nicht wenig vorhandenen Literatur zu dem Thema bezieht. Das liest sich atemberaubend, trotz der Sachlichkeit - wird hier doch ein Raum aufgeschlossen, den man auf diese Weise anders niemals hätte betreten können. Da werden Argumente und Gegenargumente aufgetürmt und es wird einem ganz schwindlig - spätestens bei dem Begriff „Widerstand durch Mitmachen“. Ernst von Weizsäcker wurde am Ende zu sieben Jahren Haft verurteilt und 1950 entlassen.
„Der Wahrheit ins Auge sehen“ - so formulierte es Richard in seiner berühmten 8.-Mai-Rede 1985 -; was mit der Wahrheit bei diesem Prozess geschah, sollten Sie unbedingt lesen! Eine kleine Zeitmaschine, die Sie an einen Ort versetzt, an dem Sie nie gewesen und unser aller Verstehen für den Verlauf von Deutscher Geschichte schärft. Das kann nur große Literatur und Kunst. sg

272 Seiten
24€

Garry Disher. Barrier Highway

Unionsverlag
Aus dem Englischen von Peter Torberg

Garry Dishers Reihe mit Constable Paul „Hirsch“ Hirschhausen spielt in Tiverton, einer fiktiven Kleinstadt in Südaustralien und zeichnet ein recht zermürbendes Bild des Lebens im Outback.
Auch im dritten Teil der Reihe verbringt Hirschhausen die längste Zeit seiner Tage im Auto, um von einem Ort zum anderen zu gelangen, nach dem Rechten zu schauen und den Menschen in seinem Zuständigkeitsgebiet auch mal handwerklich behilflich zu sein.
Doch nach und nach eröffnen sich Risse in der vermeintlich ruhigen Gegend. Zunächst stiehlt jemand die Wäsche älterer Damen von der Leine, ein Fall von grober Kindesvernachlässigung wird aufgedeckt, ein Vater bedroht nicht nur den örtlichen Schuldirektor mit Waffen und einer der wenigen wohlhabenden Männer der Gegend erweist sich als skrupelloser Geschäftemacher.
So dramatisch die Umstände, so lakonisch präsentiert Disher dieses Bild einer zerrütteten Gesellschaft. Er setzt nicht auf Action und Hochspannung, sondern rollt den Teppich der Ereignisse langsam aus und die Landschaft Südaustraliens unterstreicht das Gefühl der Vereinzelung. Die Nachbarn mögen einen Kilometer entfernt leben, und dennoch kann man sich gehörig auf die Nerven gehen und an Gerüchten aufhängen. Die vielen vereinzelten Fälle dieses Bandes verdichten sich zu einem gesellschaftlichen Bild Südaustraliens, das erstaunlich leicht auf europäische Großstädte übertragbar ist.
Möge Garry Disher auch hier endlich die Leserschaft finden, die er schon lange verdient.

Als Gegenbild zu Constable Hirschhausen, der stets versucht, die Kontrolle zu bewahren und für rechtliche Ordnung zu sorgen, sei auch Dishers neue Reihe um Sergeant Auhl empfohlen, der sich um ungeklärte, archivierte Fälle kümmert und geneigt ist, das Recht großzügig zu interpretieren. (Garry Disher: Kaltes Licht. Unionsverlag, 313 Seiten,13.95 €,  als Taschenbuch erhältlich) Christine Mathioszek

345 Seiten
22 Euro

Michael Krüger. Im Wald, im Holzhaus. Gedichte

Suhrkamp Verlag

„Was Gott so alles erlaubt, wenn der Tag lang ist...“
Gedichte des gut getarnten Mystikers Michael Krüger

„Es ist vielleicht nicht ganz falsch, Michael Krüger einen gut getarnten Mystiker zu nennen. Oder einen Schriftgelehrten am Ende aller Bücher, wo die Weisheit der Meister beginnt, jene närrische Weisheit, die ihr letztes Wort ins Wasser schreibt...“, so die Worte des hellhörigen Adolf Muschg im April 1986 (!) in seiner Laudatio auf den Peter Huchel-Preisträger Michael Krüger.
Neben vielem Gutgemeinten im übergangslosen Grenzgebiet von Literatur und Theologie ist die Stimme Krügers vom Vergnügen der Weltwahrnehmung geprägt, die für ihn unbeirrt „Schöpfung“ ist und deren Botschaften er in „närrischer Weisheit“ niederschreibt, deren schelmisch-klugen Züge und intellektuelle Schwerelosigkeit ihn zu einem einzigartigen Zeit-Genossen machen.
„Gott ist stark durch uns,/seine Lehre leicht, doch schwer zu leben,“ heißt es in „Hinter der Grenze“ (1989) – ein literarisch-theologischer Satz, lakonisch genau, die Bibel in zwölf Worten. Und 30 Jahren später, heute, schreibt er: „Hätte ich Zeit, würde ich jetzt die ganze Bibel noch einmal lesen, auf Knien.“ Der homme de lettres weiß, dass in der Bibel alle Romane schon einmal geschrieben sind...So meint es auch Muschg in seiner Preisrede, wenn er sagt, dass Krüger einem Horizont folge, den er „niemals einholen“ wird. Es ist eben wie in der Bibel: Es kommt immer zuviel dazwischen, „zwischen Bild und Bedeutung, Ich und Du, zwischen Lüge und Wahrheit, Leben und Tod. Von diesen Zwischen-Räumen handeln Krügers Gedichte.“ So auch die zwischen Leben und Tod jüngst erschienenen.
Gleich einem „Hieronymus im Gehäus“ auf dem Stich von Albrecht Dürer sitzt der Autor, geschieden von der Welt, im wörtlichsten Sinne „abgeschieden“, aber noch am Leben im Holzhaus im Wald, nahe dem Starnberger See, denn sein Immunsystem hat die „guten Tage hinter sich“. Eine Leukämie-Erkrankung zwingt, ja verurteilt ihn zu einer fugendichten Quarantäne: „Alles, was ich durch mein Fenster sehen kann...“ ist die erste Zeile des Bandes. Wer mitliest, muss in dieses Eremiten-Gehäuse, das ihm um des Lebenswillen zum Mittelpunkt der Welt wird. Anders als die klügste Kirchenvater der antiken Welt, Hieronymus (347 - 420), der mit seiner lateinischen Bibelübersetzung, der bis heute gültigen Vulgata, die das Christentum geprägt hat, der als einziger auch Hebräisch gelernt hatte, der (mit einer kleinen Frauenkommune!) im „Gehäus“ in Bethlehem sitzt und für eine gerechte Ordnung der Welt aufschreibt, was notwendig ist, anders als dieser sitzt Michael Krüger und denkt nach über die „vier Räder am Thronwagen Gottes: Unterscheidung, Einsicht, Gedächtnis und Freude.“ Anders und doch so nahe dem Hieronymus und dem Propheten Ezechiel, der das Bild vom vierrädrigen Wagen, dessen Räder in alle vier Himmelsrichtungen fuhren. Wie das geht? Ezechiel sah sie... Krüger notiert: „In dieser Zeit es gut, theologische Bücher
zu lesen.“
Im Magazin der Süddeutschen Zeitung erschienen sie zuerst, Prosagedichte, Notate, Botschaften, lyrische Protokolle und die immer mitgehende Nachricht von der erzwungenen Vereinzelung, in der die Aufmerksamkeit für Bäume, Krokusse, Grünspechte, Grasmücken, Glockenblumen wuchs: „ Ich muss den Dingen eine Wahrheit geben, die sie von selbst nicht haben können, sonst geht alles ein. Ich auch...fünf Meter breit ist mein Fenster, vier Meter hoch, die Einstellung bleibt immer gleich, in Farbe.“ Ach, und „dazwischen schlucke ich meine bunten Pillen, deren Namen an aztekische Götter erinnern, Venclyxto oder Venetoclax...“ Er nimmt die Welt draußen wahr mit ihren alt-neuen Denkern, „unvorstellbare Spießer“, „keine Ketzer, Zweifler, Grübler, keine Abtrünnigen, Glatzköpfe in Lederhosen, die in meiner Heimat, Sachsen-Anhalt und Thüringen, Furcht und Zittern erzeugen wollen mit Plastikpistolen von Jahrmarkt...“ Dann doch eher Rabbi Akiba, der als Schriftgelehrter im 1. Jahrhundert über jedes Häkchen in der hebräischen Schrift Haufen und Haufen von Lehren vortrug! So kommt er durch die Tage, mit einem Talmudtraktat, Gedichten von Novalis, Listen von Plinius und immer als Maxime seines Aufschreibens gegen: Mittelmäßige Weitschweifigkeit...Die Losung vor Augen: „Jetzt bloß keine Angst kriegen und stehen bleiben.“ Am 9. Dezember wird er 78 Jahre alt. Großer Glückwunsch: Auf 120 Jahre und drei Monate! Drei Monate? Ja! Man will ja nicht so plötzlich sterben.
Dank an Michael Krüger im Wald, im Holzhaus. Nur nebenbei: Er soll schon wieder gesehen worden sein.
Helmut Ruppel

116 Seiten
24 Euro

Callan Wink. Big Sky Country

Suhrkamp Verlag

Aus dem amerikanischen Englisch von Hannes Meyer

 Ein Paar sitzt in der Abendsonne am See und einigt sich auf den Namen des Sohnes, der bald geboren werden wird. August soll er heißen, wie der Monat. So beginnt der Debütroman namens „Big Sky Country“ des jungen US-amerikanischen Autors Callan Wink. Eine Szene vollkommener Idylle.
Schon auf den nächsten Seiten aber wird klar: Die Ehe ist in die Brüche gegangen, Augusts Vater hat eine Affäre, seine Mutter versucht es mit Lichtnahrung. Alle drei wohnen sie aber noch auf der gemeinsamen Farm in Michigan. August wächst dort heran, doch zieht dann im Jugendalter mit der Mutter nach Montana, ins Big Sky Country. Nach der Highschool verdingt er sich als Hilfsarbeiter auf Bohrinseln und Bauernhöfen, während seine Mutter ihn lieber auf dem College gesehen hätte. Beim alten Farmer Ancient irgendwo im Niemandsland des Mittleren Westens wird er schließlich ansässig. August merkt jedoch bald, dass um ihn herum tiefere Konflikte schwelen. Warum wird Ancients Freundin Kim verleumdet? Warum stehen Schilder mit neurechten Parolen säuberlich arrangiert um das Haus seines Saufkumpels? Und will er diese alten Geschichten wirklich wissen? Eigentlich ist er doch nur hierhergekommen um sich mit körperlicher Arbeit zu betäuben. Um die Ereignisse des letzten Highschooljahres zu vergessen, über die er nicht sprechen kann.
Winks Roman erzählt nicht nur die Geschichte eines heranwachsenden Mannes mit all der Wirrnis, die die Adoleszenz mit sich bringt. Er erzählt auch die wechselvolle Geschichte Amerikas Ende des 20. Jahrhunderts auf sehr beiläufige wie präzise Weise. Die Bush-Ära, der 11. September, der Irakkrieg und das sich wandelnde Klima sind da einige prägnante Stichworte.
Auch sprachlich hat das Buch viel zu bieten. Wink komponiert sowohl scheinbar belanglose Dialoge und mechanisierte Arbeitsabläufe als auch prächtige Landschaften, Wetterlagen und furiose Szenen des Exzesses. Vor allem aber – und das macht den Roman aus – zeigt Wink, wie alle Vorstellungen und Handlungen, die August in seiner von verhärteten Männern bevölkerten Lebenswelt erlernt und übernommen hat, ihm nicht die Erfüllung bringen, nach der er sich sehnt. So sehr er es auch durch Einsamsein, Arbeiten, Trinken und Prügeln versucht. Anders als bei Hemingway oder Bukowski jedoch wird dieser Typus Mann nicht heroisiert. Vielmehr verkündet Wink dessen Abgesang.
Auf nachfolgende Werke des jungen Autors darf man daher durchaus gespannt sein. Tristan Wagner

320 Seiten
€ 24

Mariam Kühsel-Hussaini. Tschudi

Mariam Kühsel-Hussaini hat mit Tschudi ein wahres Kunstwerk geschaffen. Über 320 Seiten hinweg lernen wir Lesende das Berlin des Jahres 1896 und die Nationalgalerie mal durch die Augen ihres Leiters, Hugo von Tschudi, an dessen Seite Max Liebermann herrlich berlinert, mal durch die des Kaisers Wilhelm II. und dem zu ihm haltenden Maler Anton von Werner, kennen.
Zwischen Leidenschaft und Leiden zeichnet die Autorin das Porträt eines wahren Kunstkenners, der hinter seiner Maske immer weniger zu sehen sein wird, aber für die Sichtbarkeit der französischen Impressionisten und ihrer Farbgewalt kämpft. Wer schon einmal im Museum vor einem impressionistischen Gemälde gestanden hat, wird nicht umhin kommen, zu sehen, dass Kühsel-Hussainis Stil dem der Impressionisten nicht sehr fern ist. Ihre Worte haben Strahlkraft, elegant zusammengefügt und zu schwungvollen Sätzen vereint, bringt sie so eine komplexe Bildgewalt zu
Papier. Energetisch, poetisch, dicht, dann wieder lakonisch schlicht, berührend. Bunt durchmischt und unglaublich vielfältig ist das Vokabular von Kühsel-Hussaini, deren Sprach-Genius sich Seite für Seite entschlüsseln lässt und deren Intensität auch dann noch nachhallt, wenn der Roman schon längst seinen Platz im Bücherregal eingenommen hat. Antonia Truss

320 Seiten
€ 24

Amy Waldman. Das ferne Feuer

Verlag Schöffling & Co

Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek

Wie schon in ihrem letzten Buch „Der amerikanische Architekt“ greift Amy Waldman in ihrem neuen Roman (Originaltitel: A door in the earth) ein in vieler Hinsicht aktuelles Thema auf.
Es erzählt von einer ehrgeizigen Berkeley-Studentin mit afghanischen Wurzeln, die in ihrem Heimatland Amerika um die Integration dieser beiden emotionalen und mentalen Kulturen in ihrer eigenen Person ringt. Ausgelöst durch die Lektüre des Buches eines engagierten amerikanischen Arztes über seinen humanitären Einsatz in Afghanistan (u.a. dem Bau einer kleinen Geburtsklinik im Hinterland) beschließt sie begeistert - durch eigenes Engagement - die Theorie von humanitärem Einsatz in einem fremden Land in die Praxis umzusetzen und bei der Gelegenheit, die Suche nach den eigenen Wurzeln aufzunehmen. Sie fliegt nach Afghanistan, um den verehrten Arzt zu unterstützen. Was sie allerdings vorfindet, ist ganz anders als erwartet. Ihr Aufenthalt führt zu großer Verunsicherung und gedanklicher Instabilität. Nicht nur, weil sie den Zusammenprall zweier extrem unterschiedlicher Kulturen erlebt. Sie stellt auch fest, das vieles von dem, was sich als idealistisches und hochherziges Projekt gab, in Wirklichkeit beinahe das Gegenteil ist. Zudem sind die Menschen, mit denen sie während ihres Aufenthalts zusammen lebt, äußerst misstrauisch.
Als Chefredakteurin des Südasienbüros der New York Times kennt die Verfasserin Afghanistan aus eigenem Erleben und kann drastisch klarmachen, dass man mit unseren westlichen Vorstellungen dieses Land kaum versteht.
Die Naivität und Gutgläubigkeit der Hauptfigur - und ihre daraus folgende moralische Verwirrung - ist der Faden, an dem die Autorin die Handlung mit ihren dramatischen Konsequenzen aufrollt. Dabei spart sie die Komplexität der kulturellen, politischen, religiösen und moralischen Umstände keineswegs aus. Sie zeigt, wie gefährlich gut gemeintes Eingreifen werden kann.
Sehr lesenswert, sehr erhellend und sehr packend erzählt! KP

496 Seiten
26€

RALF ROTHMANN. HOTEL DER SCHLAFLOSEN


Suhrkamp Verlag
 
Ralf Rothmann ist ein Solitär unter den deutschsprachigen Gegenwartsautoren. Jenseits von Short- und Longlisten schafft er ein Werk, das mich von Anfang an als Leserin begeistert hat. Da sind die Ruhrpott-, die Berlin- und schließlich die beiden zuletzt erschienenen Kriegsromane - allesamt großartig. Und in regelmäßigen Abständen erscheinen seine Erzählungen: Hotel der Schlaflosen - so heißt der jüngste Band. Wer jemals eine Erzählung von Ralf Rothmann gelesen hat, weiß, dass er diese Gattung auf ein Niveau hebt, das seinesgleichen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur sucht. Man sollte sich hüten zu sagen, ein Roman wäre mir lieber. Sprachlich und dramaturgisch brillant und präzise, thematisch immer aufs Ganze gehend (Fear is a man‘s best friend), hat man als Leser das Gefühl, mit jeder Geschichte einen Kurzroman zu lesen. Tief bewegt und nachdenklich bleibt man nach der Lektüre zurück und wird diese Geschichten nicht mehr ganz los. Die Erzählrahmen und Figuren sind vielfältig, und doch scheint in allem etwas zutiefst allgemein Menschliches auf. Ralf Rothmann versteht nicht nur sein Handwerk, sondern begeistert durch Empathie und Einfühlungsvermögen. Hier weiß einer, dass Literatur und Leben eins sind, und hier weiß einer, wann welches Wort wo stehen muß und wann es keines weiteren mehr bedarf. Herausragend! sg
 
200 Seiten
€ 22,-

Peter Schneider. Vivaldi und seine Töchter


Verlag Kiepenheuer & Witsch

Schon als Schüler, selbst Geige spielend, war Peter Schneider fasziniert von Vivaldis Musik. „Vivaldi und seine Töchter“ ist sein Erinnerungsbuch für den Kameramann und Freund Michael Ballhaus, dessen Plan, Vivaldis Töne filmisch in Bilder zu bannen, ihm  nicht mehr gelang. Vor allem aber ist es das spannende Porträt des Menschen Vivaldi, zerrissen zwischen seinen kirchlichen Pflichten als Priester und seiner musikalischen Berufung und Leidenschaft.
Vivaldis zentrale Wirkungsstätte in Venedig war das „Ospedale della Pietà“, ein auch in der damaligen Zeit besonderes Waisenhaus, wo er mit den musikalisch begabten Schülerinnen als Lehrer und Dirigent arbeitete. Viele der Kantaten, Sonaten und Konzerte komponierte er für „seine Töchter“ - nicht nur für die Geige, die er selbst virtuos spielte, sondern auch für damals wenig beachtete Instrumente, z.B. die Trompete. Unter seiner Leitung wurden Mädchenchor und -orchester berühmt, um sie zu hören, reisten aus ganz Europa Fürsten und Musikbegeisterte nach Venedig. Ohne sich in folkloristisch/voyeuristische Schilderungen zu verirren, gelingt es Peter Schneider, die Balance zu finden zwischen der biographischen Erzählung und der sorgfältig recherchierten Beschreibung des venezianischen Lebens zu Beginn des 18. Jh., den Machtansprüchen von Kirche und Serenissima und den harten Bedingungen musikalischen Schaffens der Zeit.Peter Schneider hat einen spannenden Roman geschrieben, im Zentrum immer Vivaldi und seine Musik, über die er mit großem musikalischem, anregendem Wissen schreibt, ein Vergnügen zu lesen und Lust machend, Vivaldis Musik wieder zu hören. rg

288 Seiten
€ 20,00

Gabriele Tergit. Effingers

Schöffling Verlag

Am Beginn des großen Epochenromans „Effingers“ der Schriftstellerin und Gerichtsreporterin Gabriele Tergit steht ein Brief. Es ist das Jahr 1878 und der siebzehnjährige Paul Effinger schreibt an seine Eltern in der süddeutschen Provinz vom großen Aufschwung. Er berichtet von seinen Erlebnissen als Arbeiter in der rheinländischen Industrie. Später geht er nach Berlin, wird Fabrikant, produziert die Effinger-Motoren und heiratet in die großbürgerliche Familie Oppner ein. Es ist die neue Zeit und der „Fortschritt“ die Losung der Stunde!
Am Ende des Romans schreibt der nun einundachtzigjährige Paul Effinger an seine Enkel, wünscht ihnen dass sie alle Schrecken überstehen mögen. Es ist das Jahr 1942, er wartet auf seine Deportation. Seine Fabrik ist nun ein Rüstungskonzern der Nazis.
Zwischen diesen beiden Briefen entfalten sich siebzig Jahre deutscher Geschichte von der Kaiserzeit, über den ersten Weltkrieg und Weimarer Republik bis zum Aufstieg der NSDAP und dem 2. Weltkrieg. Die Mitglieder der jüdischen Familien Oppner, Goldschmidt und Effinger bilden das Figurenarsenal, ihre Verwobenheit die immerwährende Konstellation des Romans. In ihnen spiegeln sich die kulturellen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse wie auch die Denkgebäude der Zeit.
Paul Effinger ist ein rechtschaffener Kaufmann, den Idealen von Sparsamkeit und Ehrlichkeit verpflichtet. Sein Schwiegervater hatte noch in der Revolution 1848 gekämpft. Seine Tochter Lotte und seine Nichte Marianne hören Vorträge in den Frauenverbänden und sehen sich dem Sozialismus und später dem Zionismus nah.

Tergits Epos gleicht einer Drehbühne mit offenen erzählerischen Räumen, in denen jedes Schicksal seinen Platz bekommt. Tergit setzt harte Schnitte, komponiert schnelle Dialoge. Doch die Momente des Lebens – das sonntägliche Familienessen, das erste Verliebtsein, die pompöse Heirat, der Abschied von einem geliebten Menschen – werden bewahrt, vor allem in den konkreten Dingen: in Interieur, Kleidung, Accessoires, Architektur, Speisen, Kunst, dem Berliner Stadtbild.
Nichts ist hier bloße Kulisse. Es ist eine versunkene Welt, die vor dem lesenden Auge wieder auflebt und am Ende doch in Schutt und Asche liegt. Es ist ein großes Verdienst des Schöffling Verlages dieses Stück jüdisch-deutscher Geschichte – gespiegelt in eindrucksvoller Literatur – wieder erlesbar gemacht zu haben. tw

904 Seiten
€ 28,00

Ab September 2020 im Tachenbuch für € 14,00

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