Wagenbach Verlag
In der Philharmonie des besetzten Prags hört Reinhard Heydrich, stellvertretender Reichsprotektor und kenntnisreicher Musikliebhaber, Mozart. Nach dem Konzert, auf sein Auto wartend, entdeckt er auf dem Sims des Konzerthauses die Statue des Komponisten Mendelssohn. Wütend über diesen Hohn befiehlt er deren sofortigen Abriss. Die damit beauftragten Arbeiter jedoch wissen nicht, welche der Figuren Mendelssohn sein könnte, einer meint »na der mit der längsten Nase« – das aber ist Richard Wagner. In absurden Bemühungen wird der Komponist identifiziert. Die Arbeiter zertrümmern die Statue nicht, sondern legen sie sorgsam aufs Dach, von unten nicht mehr sichtbar – wer weiß?
Mit dieser Groteske beginnt der Roman. Es ist die Zeit der beschleunigten Deportationen nach Osten, der Einrichtung der Festung Theresienstadt als Konzentrationslager, aber auch der Beginn des Widerstands, der zum Attentat und Tod Heydrichs führt. Jirí Weil, der in Prag illegal überlebt hat, beschreibt leise, nicht dramatisierend, die immer bedrohlicher werdende Situation der Menschen, die perfekte Organisation der Unterdrückung, die Solidarität Einzelner mit den Verfolgten, aber auch die kleine Freude einer Flussfahrt auf der Moldau. Ein erschütterndes Kapitel erzählt vom Alltag in Theresienstadt und wie durch den Wunsch der SS nach immer schnelleren Deportationen Bahnschienen in die Stadt verlegt werden. Mit den Eisenbahnern dringen Nachrichten und Hoffnung ein. Der Roman endet mit dem Tod zweier kleiner jüdischer, von der Gestapo aufgegriffener Mädchen, die auf die Frage, wer sie versteckt habe, immer nur antworten „wir waren im Wald“ – Bäume, Wald – für Jiří Weil Symbole von Leben und Hoffnung in einer versteinerten Welt. Renate Georgi
283 Seiten
22€