Roth und Benjamin waren einander nicht sonderlich zugetan. Beim Lesen dieser Berichte wird aber deutlich, daß es eine Reise der Desillusionierung war. Gleichwohl sind Roths Beobachtungen von jener kristallinen sprachlichen Genauigkeit, die auch seinen Romanen und Erzählungen eigen ist. Ob es um Prostitution, Zeitungszensur oder das ärmliche Leben der russischen Bauern geht: immer ist eine vorurteilslose Einfühlsamkeit spürbar, die den heutigen Leser unmittelbar berührt.
Natürlich kann man das Buch nicht zur Hand nehmen, ohne an die gegenwärtige Entwicklung in Joseph Roths Geburtsregion zu denken. Und man liest: „Die Ukrainer, die in Rußland, in der Tschechoslowakei, in Rumänien vorhanden sind, verdienten gewiß einen eigenen Staat, wie jedes ihrer Wirtsvölker. Aber sie kommen in den Lehrbüchern, aus denen die Weltaufteiler ihre Kenntnisse beziehen, weniger ausführlich vor als in der Natur – und das ist ihr Verhängnis."
Textura heißt diese wunderbar gestaltete Reihe des Beck Verlags, in der Joseph Roths Reisenotizen erschienen sind. Textura heißt Gewebe, und treffender könnte der Name nicht sein für eine Sammlung, die sich um randständige Texte: von Sappho, Boccaccio, Kafka und Trakl über die Klassiker der Moderne bis in die Gegenwart, jeweils hervorragend kommentiert und graphisch exquisit ausgeführt (den vorliegenden Band eröffnet in der Klappbroschur eine Karte der Sowjetrepubliken um 1023).
Ein ornamentreiches Gewebe der Weltliteratur, an dem wir, lesend, mitwirken.
gw
14,95 €